So
18MaiZeitzeugin Henriette Kretz
„Wir haben nur eine Welt – und jeder hat einen Platz auf ihr“ – Die NS-Zeitzeugin Henriette Kretz erzählt ihre bewegende Lebensgeschichte.
Am 28. April 2025 hatte die Jahrgangsstufe Q2 die Ehre, die Zeitzeugin Henriette Kretz und ihre Geschichte kennenzulernen. Frau Kretz wurde von Dr. Mark Fachinger, dem Initiator des Zeitzeugenprojekts des Bistums Limburg, begleitet und unterstützt.
Henriette Kretz wurde am 26. Oktober 1934 in einer jüdischen Familie in Polen geboren. Sie berichtete über ihre behütete und glückliche Kindheit, die sie die meiste Zeit in der Natur verbracht habe. Leider habe diese aber frühzeitig an dem Tag geendet, an dem sie das Wort ‚Krieg‘ zum ersten Mal hörte. Damals war Henriette Kretz fünf Jahre alt.
Sie erzählte, dass sie sich anfangs nichts darunter habe vorstellen können, doch als eines Tages ein Anhänger voller verletzter Soldaten auf den Hof der Familie gerollt sei, welche alle zu ihrem Vater, einem angesehenen Arzt, wollten, sei ihr klar geworden, dass ,Krieg´ nichts Gutes bedeuten konnte.
Von diesem Zeitpunkt an änderte sich vieles in ihrem Leben, so Frau Kretz. Es fing damit an, dass alle ihre Freunde in die erste Klasse gehen durften, sie jedoch aufgrund ihres religiösen Hintergrunds nicht. Da sich die Lage in Europa immer weiter zuspitzte, schickten ihre Eltern Henriette zu einer guten Freundin, bei der sie unter einem unverdächtigen polnischen Namen lebte. Dort durfte sie jedoch nie die Wohnung verlassen, da das Risiko zu groß war, von den deutschen Soldaten entdeckt zu werden.
Eines Tages hörte sie schwere Schritte auf der Treppe, welche der Wohnung immer näher kamen. Sie versteckte sich hinter einem großen Schrank, wurde aber von den Soldaten entdeckt und in ein Gefängnis mitgenommen. Dort erlebte sie einen schrecklichen Moment, als eines Tages ein neugeborenes, noch blutverschmiertes Baby in die Zelle geworfen wurde. Die Frauen in der Zelle kümmerten sich um das Baby und versuchten es am Leben zu halten. Henriette hatte schon jegliche Hoffnung, je wieder aus der Zelle herauszukommen, verloren und weigerte sich zu essen. Lieber wollte sie am Hunger sterben, als erschossen zu werden. Doch dann kam der Tag, an dem sie aus der Zelle gerufen wurde – sie konnte es kaum glauben, da sie noch nie mitbekommen hatte, dass jemand wieder aus der Haft entlassen worden war. Sie wurde in ein jüdisches Ghetto gebracht, wo sie endlich ihre Eltern wiedersah. Frau Kretz erzählte, dass ihre Eltern in diesem Moment wie kleine Kinder weinten. Einem deutschen Kollegen ihres Vaters gelang es dann sogar, die Familie aus dem Ghetto herauszuholen und sie heimlich in seinem Keller zu verstecken. Einige Zeit später, Henriette war inzwischen acht Jahre alt, fanden die deutschen Soldaten sie jedoch auch dort. Und als die Soldaten fragten, ob sie Juden seien, stellte sich Henriettes Vater: „Wenn sie mich erschießen wollen, können sie das auch hier und jetzt tun.“ Der Soldat holte seine Waffe hervor und ihr Vater hatte nur noch Zeit, ihr zuzurufen: „Lauf weg!“ Und das tat Henriette. Kurz darauf hörte sie Schüsse, die Schreie ihrer Mutter, weitere Schüsse, die das Schreien ihrer Mutter beendeten. Henriette drehte sich jedoch nicht um, sie lief und lief, bis sie ihre Beine nicht mehr tragen konnten. Sie übernachtete in einem fremden Vorgarten und erinnerte sich am Morgen an eine frühere Patientin ihres Vaters, Schwester Célina, welche Leiterin des Waisenhauses war.
Zu ihr ging sie, wurde von ihr aufgenommen und wuchs zusammen mit den anderen Waisenkindern im Heim auf. Auf diese Weise überlebte Henriette Kretz den II. Weltkrieg.
Die Lebensgeschichte von Henriette Kretz war sehr berührend und hat uns zutiefst beeindruckt. Jedoch betonte Frau Kretz, dass ihre Geschichte kein Einzelfall sei und viele Menschen solche Schicksalsschläge zu dieser Zeit erleben mussten. Es sei von großer Bedeutung, solche Geschichten weiterzugeben – gerade weil künftige Generationen diese Möglichkeit nicht mehr haben werden.
Uns wurde durch Frau Kretz´ Schilderungen bewusst, wie wichtig ein Leben in Frieden und Freiheit ist und welche Gefahr darin liegt, nicht richtig auf unsere Demokratie aufzupassen.
Wir, die Schülerinnen der Jahrgangsstufe Q2, zeigen uns dankbar, dass Henriette Kretz diese wertvolle Erfahrung mit uns geteilt hat.
Lotta Junge, Q2